
Zwischen unangekündigten Terminen, Notfällen, OP, Euthanasien, fordernden Besitzern und akutem Zeitdruck verlieren sich viele Tierärztinnen, Tierärzte und TFA in einem Modus des „Funktionierens“. Die Folge? Innere Erschöpfung trotz äußerer Leistungsbereitschaft.
In diesem Artikel erfährst du, wie du deine Resilienz auch im Praxis- und Klinikalltag aktiv stärken kannst – mit psychologischen Werkzeugen, kleinen mentalen Routinen und alltagstauglichen Strategien zur Selbstregulation. Weitere Tipps zur Resilienz im (privaten) Alltag findest du in diesem Artikel.
Abschalten nach Dienstschluss – Wenn das Gedankenkarussell nicht stillsteht
Auch wenn der letzte Patient versorgt und die Tür abgeschlossen ist: Die Gedanken kreisen weiter. Gerade in helfenden Berufen fällt das Abschalten besonders schwer, weil Mitverantwortung, Empathie und Entscheidungsdruck nachwirken.
Warum ist das so?
In helfenden Berufen wie der Tiermedizin sind berufliche Identität und persönliche Selbstwahrnehmung oft eng miteinander verknüpft. Tierärztinnen, Tierärzte und TFA definieren sich nicht nur über ihre Tätigkeit – sie leben sie. Die Rolle als Unterstützerin, Verantwortlicher oder Problemlöserin wird zum Teil der eigenen Persönlichkeit. Und genau darin liegt ein psychologisches Dilemma: Was man tief verinnerlicht hat, kann man nicht einfach mit dem Abschließen der Praxistür hinter sich lassen.
Unterstützt wird dieses Muster durch internalisierte Rollenerwartungen: Empathie, Selbstlosigkeit und Belastbarkeit gelten in helfenden Berufen nicht nur als Kompetenzen, sondern fast als moralische Pflicht. Viele übernehmen diese Erwartungen unbewusst und spüren Druck, jederzeit verfügbar, kompetent und stark zu sein – auch dann, wenn der Körper längst nach Erholung und Pausen schreit.
Wer sich zudem sowohl im Job als auch privat ständig als „Versorgerin“ oder „Kümmerer“ erlebt, verliert mit der Zeit das Gefühl für persönliche Grenzen. Diese unklaren Grenzen erschweren es weiter, einen guten Abstand zum tierärztlichen Alltag zu finden und unserem Geist und Körper Ruhe und Erholung zuzugestehen – oder gar einzufordern.
Und nicht zuletzt spielt auch die neurobiologische Ebene eine Rolle: Emotionale Eindrücke aus dem Praxisalltag – insbesondere bei Notfällen, belastenden Gesprächen oder schwierigen Entscheidungen – werden vom Gehirn oft intensiv gespeichert und wirken nach. Das Stresssystem bleibt aktiviert, selbst wenn die äußeren Anforderungen vorbei sind.
Was können wir also tun, um unsere Resilienz zu stärken und uns in der Freizeit besser zu erholen, um am nächsten Tag gestärkt zurück in die Praxis oder Klinik kehren zu können?
Impulse aus der Psychologie
Mentales Türschließen
Eine symbolische Handlung am Feierabend – z. B. bewusstes Schließen der Praxistür oder das Übertreten der Schwelle aus der Praxis / Klinik hinaus mit möglichen Beispielaussagen: „Ich lasse die Arbeit hier!“ – „Morgen komme ich wieder, dann kann ich mich weiter damit beschäftigen.“ – „Jetzt habe ich Pause!“
Je konsequenter wir dies üben, desto wirksamer ist die Methode. Das Problem dabei ist tatsächlich die Konsequenz. Wir müssen über eine bestimmte Zeit jedes Mal daran denken und es auch wirklich tun. Keine Ausreden wie „ich bin zu müde“ oder „ich will nur noch weg“. Nicht quatschen – machen!
Rituale auf dem Heimweg
Meine Lieblings-Musik, ein (nicht-tiermedizinischer!) Podcast, ein längerer Spazierweg, den ich für letzte Gedanken nutze, oder kleine Glücksmomente, z.B. am Ende der Woche ein Kuchen von meinem Lieblingsbäcker. Das alles sind kleine Rituale, die den Wechsel vom Berufs- in den Privatmodus unterstützen können.
Gedanken-Parkplatz
Eine Notiz-App oder Sprachnotiz kann helfen, belastende Gedanken abzulegen – ohne sie zu verdrängen. So entsteht ein Gefühl von Kontrolle statt Grübelschleife. Noch effektiver ist allerdings der analoge Weg: nämlich mit Stift und Zettel. Das regelmäßige Aufschreiben von Gedanken hilft, diesen einen Platz zu geben. Und wenn sie einen Platz haben, nerven sie mich weniger.
Emotionen regulieren – Selbststeuerung im Hochbetrieb
Je besser ich es schaffe, meinen Arbeitsalltag stressfrei zu gestalten, umso besser schaffe ich es, im Anschluss abzuschalten. Wenn mich im Alltag aber doch einmal emotionaler Stress überkommt, ist es wichtig, dennoch handlungsfähig zu bleiben.
Damit du dich nicht verlierst, sind kleine Techniken hilfreich, die sich auch in volle Arbeitstage integrieren lassen.
Körperbasierte Methoden
4-4-8-Atemtechnik
4 Sekunden einatmen, 4 Sekunden Luft halten, 8 ausatmen – reduziert sympathische Aktivierung (Stress) und fördert vagusgesteuerte Beruhigung. Es wird ein paar Minuten dauern, bis man einen Effekt spürt, aber die Atmung hat Auswirkungen auf unseren Herzschlag. Und wenn dieser nachzieht, spüren wir das.
Sensorische Reset-Momente
Unser Nervensystem liebt Klarheit. Es möchte wissen, was wir tun. Und zwar aktiv. Somit können wir dies nutzen, indem wir unseren Köper „scannen“: meine Füße stehen beide fest auf dem Boden. Ich stehe aufrecht, meine Schultern sind zurück, mein Kopf gerade.
Erweiternd kann ich meine Arme einmal um mich herum wickeln (mich umarmen) oder meinen Körper abklopfen. Hüpfen oder Hampelmänner helfen auch, aber all dies sollte man besser irgendwo alleine tun – nicht, dass man komische Blicke erntet. 😊
Mini-Dehnungen am Arbeitsplatz
Einmal bewusst strecken, Schultern kreisen lassen, Gesicht erst anspannen (Knautschgesicht machen), dann lockerlassen. Solche Übungen aktivieren ebenfalls die Selbstwahrnehmung und unterbrechen Stressmuster.
Gedankenbezogene Methoden zur Selbstregulation
Die Art, wie wir mit uns selbst sprechen, prägt unser Selbstbild, unsere Emotionen und unser Verhalten gegenüber anderen. Wer sich selbst ständig kritisiert, schwächt sein Selbstwertgefühl und erhöht das Risiko für psychische Belastungen und einem ungünstigeren Umgang mit stressigen Situationen.
Im Gegensatz dazu stärkt ein unterstützender, mitfühlender innerer Dialog unser Selbstvertrauen und unsere Resilienz. Wer sich selbst mit Respekt begegnet, übersteht auch herausfordernde Situationen besser.
Wie könnte sowas aussehen?
„Ich bin vorbereitet“ - „Ich handle jetzt, danach reflektiere ich.“ - „Das ist gerade herausfordernd – und ich wachse daran.“ – „Ich bin gut in dem, was ich tue, also schaffe ich das!“ – „Ich bin sicher, ich habe mein Team bei mir, wenn ich Hilfe benötige.“
Dieser innere Dialog hilft auch im Falle einer notwendigen Abgrenzung. Dabei sollte hervorgehoben werden, dass Abgrenzung nichts mit mangelnder Empathie zu tun hat!
Empathie zeigen – ohne Selbstverlust
Empathie ist ein Geschenk! Und spielt nicht nur in das Thema Resilienz mit ein, sondern hat auch mit emotionaler Intelligenz zu tun (Was das ist? Das lest ihr hier).
Ein hohes Empathievermögen kann aber auch zur potenziellen Belastung werden. Insbesondere dann, wenn ich es nicht schaffe, mich abzugrenzen, z.B. bei emotional aufgeladenen Fällen oder Dauerkontakt mit leidenden Tieren und Besitzer*innen. Hier braucht es innere Klarheit, um mitzufühlen, ohne mitzuleiden.
Strategien zur Abgrenzung
- emotionale Differenzierung: Statt „Ich fühle alles mit“ → „Ich nehme die Emotion wahr, ohne sie zu übernehmen.“
- kommunikative Klarheit: „Ich sehe Ihre Sorge – und übernehme jetzt medizinisch die Verantwortung.“
- innerer Perspektivwechsel: Sich selbst fragen: „Würde ich mich selbst genauso behandeln wie mein Gegenüber?“ – dies stärkt Selbstwert und Selbstmitgefühl.


