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Haltungs- und Stellreaktionen sind komplexe Antworten, die die zentrale Koordination für den normalen Bewegungsablauf und die Körperhaltung beinhalten. Sowohl Motorik als auch Sensorik sind beteiligt.
Durch den komplexen Ablauf ist es nicht möglich, abnorme Haltungs- und Stellreaktionen einer Läsion an einer spezifischen Stelle im Nervensystem zuzuordnen. Sie sind aber sensible Indikatoren für eine Störung im Nervensystem und kombiniert mit den vorangegangenen Untersuchungen wichtig für eine Diagnosestellung. Haltungs- und Stellreaktionen sind nur bei stehfähigen Tieren gut beurteilbar.
Undeutliche Bewegungsstörungen können deutlich gemacht werden durch:
- vermehrte Belastung der Extremitäten
- Seitenunterschiede
- Störungen der Bewegung der Vorder- oder Hinterextremitäten
Die Haltungs- und Stellreaktionen dienen der Beantwortung der Frage, wie viele Beine von der Gangstörung betroffen sind und ob die Propriozeption (Information über die Position einzelner Körperteile) intakt ist. Die meisten dieser Untersuchungen sind nur bei kleinen Tieren möglich (oft schon bei großen Hunderassen schwierig).
Praxis
Es müssen nicht immer alle Tests durchgeführt werden. Sie sind der Tierart, der Größe des Tieres und an das Verhalten (unkooperatives Benehmen) anzupassen.
Physiologischer Befund
- „o.B.“
Vorsicht
Das Durchführen einer Provokation oder die Verdeutlichung einer Ataxie ist nicht nötig, wenn diese bereits bei normalem Gang gesehen wird (Sturz- und Verletzungsgefahr!).
Korrekturreaktion (Überkötungsreaktion)
Durchführung und physiologischer Befund
Die Korrekturreaktion ist die sensitivste Reaktion für die Beurteilung der Hinterextremitäten des Hundes. Nach passivem Überköten einer Gliedmaße erfolgt ein rasches Wiedereinnehmen der physiologischen Haltung. Dieser Test ist jedoch willkürlich beeinflussbar.
Hüpfreaktion
Durchführung und physiologischer Befund
Hunde werden so gehalten, dass nur ein Bein den Boden berührt [Abb.1]. Die Körpermasse des Tieres wird in verschiedene Richtungen verlagert. Der Patient soll durch Hüpfen versuchen, die Körpermasse auf der belasteten Extremität koordiniert aufzufangen. Die Hüpfreaktion ist willkürlich wenig beeinflussbar (Vorteil gegenüber Überkötungsreaktion und anderen Haltungsreaktionen).

Pathologische Befunde und mögliche Ursachen
Ataxie, Umfallen, Unfähigkeit, die eigene Körpermasse zu tragen, zu große oder zu kleine Schritte. Ein Tier mit einem verhältnismäßig normalen Gangbild und Ausfällen bei der Hüpfreaktion hat oft eine Läsion rostral des Mittelhirns, meistens im Großhirn. Eine verlängerte Initiationsphase spricht für sensorische, eine erschwerte Durchführungsphase für motorische Störungen.
Schubkarren-Reaktion
Durchführung und physiologischer Befund
Stehen und Gehen allein auf den Vordergliedmaßen. Das Tier wird unter dem Abdomen unterstützt [Abb.2]. Beim Vorwärts- und Seitwärtsgehen sollten koordinierte Bewegungen gezeigt werden. Subtile Störungen können verdeutlicht werden durch zusätzliches Heben des Kopfes (verminderter Gesichtssinn, erhöhter Muskeltonus der Vordergliedmaßen).

Pathologische Befunde
Siehe Pathologische Befunde und mögliche Ursachen.
Gehen auf den Hintergliedmaßen
Durchführung und physiologischer Befund
Der Hund wird im Thoraxbereich hochgehoben und die Körpermasse nach hinten verlagert. Eine normale Reaktion ist ein Hüpfen nach hinten.
Pathologische Befunde
- „ggr./mgr./hgr. verzögert“
- Siehe Pathologische Befunde und mögliche Ursachen.
- „Umfallen nach hinten“
Stehen und Gehen auf einem ipsilateralen Gliedmaßenpaar
Durchführung und physiologischer Befund
Beide Extremitäten einer Seite werden hochgehoben und der Patient wird aufgefordert, allein auf dem gegenüberliegenden Beinpaar zu gehen bzw. zu stehen [Abb.3].

Pathologische Befunde
Siehe Pathologische Befunde und mögliche Ursachen.
Unterstützungsreaktion
Durchführung und physiologischer Befund
Das Tier wird mit frei hängenden Vorder- bzw. Hinterextremitäten dem Boden genähert und soll dabei die Beine strecken, um den Bodenkontakt vorzubereiten [Abb.4].

Pathologische Befunde
- „einknicken“
- „unkoordiniertes Auffußen“
Aufrichtereaktion
Hintergrund
Die Aufrichtereaktion ist eine Funktion des Gleichgewichtsapparates. Ein Fehlverhalten nur bei dieser Reaktion ohne andere Symptome ist aber nicht spezifisch genug, um eine Störung desselben zu diagnostizieren.
Durchführung und physiologischer Befund
Kleine Hunde werden hochgehoben und die Vorderextremitäten dem Boden genähert. Neben Streckung der Extremitäten soll ein Aufrichten des Kopfes beobachtet werden können.
Große Hunderassen kann man ablegen lassen, um das Aufstehen zu beobachten.
Pathologische Befunde und mögliche Ursachen
- Einrollen des Kopfes und Einknicken des Halses und der Extremitäten
- Unfähigkeit aufzustehen.
Tischkantenprobe
Durchführung und physiologischer Befund
Diese Probe wird optisch und taktil durchgeführt. Bei der taktilen Tischkantenprobe wird das Tier mit zugehaltenen Augen unter dem Thorax unterstützt und die Vorderbeine werden mit einer Tischkante in Kontakt gebracht. Der Patient soll sofort auf den Tisch steigen.
Die optische Methode ist ähnlich: Das Tier darf die Tischkante sehen und soll auffußen, noch bevor es den Tisch berührt [Abb.5]. Dies ist daher auch eine gute Methode, den KN II: Gesichtssinn (N. opticus) zu überprüfen. Große Tiere können über eine Stufe oder eine Stange geführt werden.

Pathologische Befunde
- „fehlendes“ bzw. „verzögertes“ und „unkoordiniertes Auffußen“
- „gesteigerte Auffußbewegungen“
Bei dieser Reaktion werden der Tastsinn oder der Gesichtssinn überprüft, sonst ist sie der Hüpfreaktion ähnlich. Wenn die taktile Reaktion ohne besonderen Befund ist, die optische aber verzögert, spricht dies für eine Läsion des Gesichtssinns.
Tonische Halsreaktion
Durchführung und physiologischer Befund
Beim stehenden Tier wird der Kopf nach dorsal gebogen mit geringgradiger Streckung der Vorder- und Beugung der Hinterextremitäten. Beim Abbiegen des Kopfes nach ventral kommt es zur geringgradigen Beugung der Vorder- und geringgradigen Streckung der Hintergliedmaßen. Die Reaktionen sind nicht sehr deutlich und werden oft vom Tier unterdrückt. Sie sind Bestandteil der normalen Bewegung (Vorbereitung zum Sprung durch Hebung des Kopfes, Beugung der Hintergliedmaßen).
Pathologische Befunde
Asymmetrische Streckung oder Beugung einer Gliedmaße.
Der Originalbeitrag zum Nachlesen:
Haltungs- und Stellreaktionen (propriozeptive Tests). In: Wittek T, Khol J, Baumgartner W, ed. Klinische Propädeutik der Haus- und Heimtiere. 10., aktualisierte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2025.
(JD)



