Klinische PropädeutikProvokationsproben beim Pferd

Provokationsproben werden häufig in der Lahmheitsuntersuchung beim Pferd angewandt. Lesen Sie hier alles zur Durchführung und Interpretation. 

Inhalt
Pferd galoppiert über eine Weide.
Ines Hasenau/stock.adobe.com
Mit Provokationsproben kann die lahmheitsverursachende Region näher eingrenzt werden. - Symbolbild

Hintergrund

Provokationsproben werden fast ausschließlich in der Lahmheitsdiagnostik beim Pferd eingesetzt, sehr selten beim Rind und kaum bei anderen Tierarten.

Bei den Beugeproben werden einzelne oder mehrere Gelenke gebeugt. Als ideal wird die Dauer über 1 Minute mit einer Kraft von 100 N (Newton) angesehen. Wichtig ist, bei der Durchführung auf eine konstante Kraftanwendung und eine Beugung, entsprechend dem normalen Bewegungsradius des Gelenks, zu achten. Die Beugeproben an den Gliedmaßen eines Pferdes sollten durch dieselbe Person durchgeführt werden. Es werden alle vier Gliedmaßen gebeugt, zuletzt das lahme Bein. Es empfiehlt sich zunächst Übersichtsbeugeproben durchzuführen.

Die einzelnen Gelenke können auch noch gesondert gebeugt werden, allerdings können manche Gelenke der Hintergliedmaße bedingt durch die Spannsägenkonstruktion des Pferdes nicht einzeln gebeugt werden.

Durch die verschiedenen Provokationsproben kann die lahmheitsverursachende Region näher eingegrenzt und der Ausfall einer eventuell im Anschluss durchgeführten diagnostischen Injektion besser beurteilt werden.

Praxis

Insbesondere bei akuten hochgradigen Lahmheiten sollten Rotations-, Hyperflexions- und Hyperextensionsproben in den distalen Zehengelenken der betroffenen Gliedmaße durchgeführt werden. Bei deutlich positiver Hyperflexions- und/oder Rotationsprobe besteht Fissurverdacht.

Durchführung

Zehengelenkbeugeprobe

Zur Verstärkung der Lahmheit werden die Zehengelenke bei möglichst gestrecktem Karpalgelenk gebeugt. An der Hinterextremität ist durch die Wirkung des Spann-Band-Apparates beim Beugen der Zehengelenke auch ein leichtes Beugen der proximal gelegenen Gelenke nicht zu vermeiden. Ein eventuell geringgradig positiver Ausfall dieser Beugeprobe kann auch eine Schmerzursache im Sprunggelenk oder proximal davon haben. In der Regel fällt in diesen Fällen die proximale Beugeprobe („Spatprobe“, s.u.) nachfolgend deutlich positiver aus.

Die Provokationsprobe wird für 60 Sekunden mit einer Kraft von ca. 100–150 N durchgeführt (entspricht der Kraft, die nötig ist, um 10–15 kg zu heben). Um das Ergebnis der nachfolgend durchzuführenden diagnostischen Injektion richtig zu interpretieren, ist es notwendig, dass die Provokationsprobe danach in gleicher Weise und mit gleicher Kraft – am besten von derselben Person – durchgeführt wird.

Bei einer Kraft von 150 N kann auch bei gesunden Pferden eine positive Reaktion ausgelöst werden, insbesondere wenn auch die Dauer der Beugeprobe erhöht wird. Von hundert lahmheitsfreien Pferden zeigten in einer Studie mehr als 50 % einen positiven Ausfall der Zehengelenkbeugeprobe bei 150 N und 60 Sekunden Dauer. Besonders ältere Pferde und Stuten haben eine höhere Wahrscheinlichkeit einer positiven Zehengelenkbeugeprobe.

Keilprobe

Die zu untersuchende Gliedmaße wird mit dem Huf auf einen nach vorne offenen Keil mit ca. 15–20° Neigung gestellt, sodass die Zehe überstreckt wird (Abb. 6.13). Der zu erwartende positive Ausfall bei Podotrochlose hat sich jedoch nicht in dem Maß bestätigt, wie in älterer Literatur beschrieben. Die Korrelation zwischen Keilprobe und Erkrankung im Zehenbereich ist nicht im selben Maße gegeben wie bei der Zehengelenkbeugeprobe. Die Keilprobe kann auch durch Höherstellen der Trachten erfolgen (Abb. 6.14). Dabei wird insbesondere eine Belastung des Fesselträgers erzielt. Ein positiver Ausfall bei Schmerzen im Bereich des Fesselträgers ist daher zu erwarten. Studien über die Aussagekraft dieser Keilprobe liegen jedoch noch nicht vor.

Karpalgelenkbeugeprobe

Die Beugung des Karpalgelenks erfolgt bei hängender Zehe, das Röhrbein wird durch völlige Beugung des Karpus mit der Kaudalseite des Unterarmes „zusammengeklappt“. Wie auch bei der Zehengelenkbeugeprobe ist eine positive Beugeprobe nicht nur bei Gelenkschmerzen, sondern auch bei Schäden im Bereich der Karpalbeugesehnenscheide, der Beugesehnen und des Fesselträgers zu beobachten.

Beugeprobe an der Hinterextremität

Sprung-, Knie- und Hüftgelenkbeugeprobe, „Spatprobe“. Die jeweilige Hintergliedmaße wird in der Fesselbeuge mit einer Hand erfasst und nach vorne hochgezogen und gebeugt, sodass Sitzbeinhöcker und Fersenbeinhöcker etwa senkrecht untereinander liegen und die Dorsalseite der Zehe der gebeugten Gliedmaße etwa am Oberschenkel der Hilfsperson liegt. Durch den Spann-Band-Apparat ist ein alleiniges Beugen des Sprung- oder Kniegelenks nicht möglich. Daher ist bei der sog. Spatprobe zu bedenken, dass auch das Knie und Hüftgelenk mit gebeugt werden.

Beugeproben proximale Vorderextremität

Schultergelenkstreck-Ellenbogengelenk-Beugeprobe und Ellenbogengelenkstreck-Schultergelenk-Beugeprobe. Diese Provokationsproben können bei Verdacht der Lahmheitsursache im proximalen Gliedmaßenabschnitt der Vorderextremität durchgeführt werden. Auch in diesen Fällen muss die Untersuchung mit einer diagnostischen Anästhesie abgesichert werden.

Physiologischer Befund

Die bestehende Lahmheit wird nicht verstärkt.

Pathologische Befunde und mögliche Ursachen

Der Ausfall einer Beugeprobe wird in drei Stufen beurteilt, ausgehend von der Verstärkung der zuvor beobachteten Lahmheit (Tab. 6.4).

Grad Definition
+ geringgradige Verstärkung der Lahmheit über die halbe Länge der Vorführbahn
++ mittelgradige Verstärkung der Lahmheit über mehr als die halbe Länge der Vorführbahn
+++ hochgradige Verstärkung der Lahmheit, keine Gewichtsaufnahme in den ersten Schritten mit nachfolgender Stützbeinlahmheit 3.–5. Grades über die gesamte Länge der Vorführbahn

Eine positive Provokationsprobe kann durch Schmerz in der Gelenkkapsel, aber auch in der Peripherie des Gelenks, ausgelöst werden. So ist eine positive Beugeprobe der Zehengelenke auch bei einer Tendinitis des Fesselträgers, Läsionen im Knochen (zystoide Defekte, Gleichbeinerkrankung) oder Podotrochlose zu erwarten.

Dennoch müssen dem Untersucher die Grenzen der Aussagekraft der Provokationsprobe bewusst sein.

Der Originalbeitrag zum Nachlesen:

Orthopädischer Untersuchungsgang. In: Wittek TKhol JBaumgartner W, ed. Klinische Propädeutik der Haus- und Heimtiere. 10., aktualisierte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2025. doi:10.1055/f-0004-0001-b000001008

(IR)

Prof. Dr. med. vet. Walter Baumgartner, Diplomate ECBHM, Fachtierarzt für Rinder und für Labormedizin, leitete die Klinik für Wiederkäuer der Veterinärmedizinischen Universität Wien und hat an mehreren eurpäischen Universitäten Gastprofessuren und Beratertätigkeiten.

Prof. Dr.med.vet. Thomas Wittek, Dipl.ECBHM, ist Leiter des klinischen Zentrums für Wiederkäuer- und Kamelidenmedizin an der veterinärmedizinischen Universität Wien.

Prof. Dr. med. vet. Johannes Lorenz Khol,Dipl. ECBHM, ist Leiter der Außenstelle Tirol der Vetmeduni Wien und Präsident der Österreichischen Buiatrischen Gesellschaft.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Klinische Propädeutik der der Haus- und Heimtiere".