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Was ist eigentlich „Handling“?
Unter dem Begriff „Handling“ versteht man im Arbeitsalltag von Tierpfleger*innen in Klinik und Forschung neben den routinemäßigen Arbeiten auch das Gewöhnen der Tiere an neue Situationen. Da dies oft mit unangenehmen oder ungewohnten Erlebnissen (Blutentnahme, Medikamentengabe, Fieber messen, Klauen- oder Krallenpflege usw.) verbunden ist, können Stress und somit eine zusätzliche Belastung die Folge sein. Eine Zunahme der Stressoren hat jedoch nicht nur negativen Einfluss auf die Stabilität von zur Diagnostik erhobenen Parametern und den Genesungsprozess der Patienten in Kliniken, sondern ist auch aus der ethischen Verantwortung gegenüber dem Tier zu vermeiden.
Nach den Empfehlungen der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V. ist jede Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit, wie Fassen und Fixieren von nicht entsprechend trainierten Tieren als Belastung anzusehen. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass es die Möglichkeit der sog. positiven Verstärkung gibt, um entstehenden Stress zu minimieren. Diese positive Verstärkung kann z. B. durch eine gezielte Konditionierung mithilfe des Clickers erreicht werden, was den Stress der Tiere verringert, die Unfallgefahr für das Personal minimiert und generell für einen einfacheren Umgang mit den Tieren sorgt. Während in der Ausbildung von Haus- und Heimtieren und in zoologischen Gärten (Medical Training zur Beschäftigung) häufig mit dieser Technik gearbeitet wird, ist die Methode des gezielten „Medical Trainings“ in der tierärztlichen Praxis als Möglichkeit, Haustiere und Nutztiere an tierärztliche Maßnahmen zu gewöhnen, bislang noch nicht sehr weit verbreitet.
Voraussetzungen
Prinzipiell eignen sich alle Tierarten für ein solches Training, es spielt kaum eine Rolle, ob man mit Heim- und Kleintieren (Vögel, Ratten, Kaninchen, Meerschweinchen, Katzen oder Hunde) oder mit Nutztieren (Schweine, Schafe, Rinder, Alpakas oder Pferde) arbeitet. Sie alle sollten hören können (Clicker) und zu Beginn des Trainings möglichst hungrig sein (Belohnung).
Konditionierung
Unter Konditionierung versteht man das Erlernen von Reiz-Reaktionsmodellen und unterscheidet dabei grundsätzlich 2 Arten:
- Bei der klassischen Konditionierung wird ein zuvor neutraler Reiz mit einer unbedingten (angeborenen) Reaktion so verknüpft, dass eine konditionierte (antrainierte) Reaktion entsteht. Der Physiologe Iwan Pawlow stellte 1918 zufällig fest, dass seine Hunde schon zu speicheln anfingen, wenn sein Assistent zum Füttern den Raum betrat, ohne dass die Hunde das Futter sahen. Pawlow versuchte daraufhin, einen neutralen Reiz (Ton einer Glocke) mit einer unbedingten Reaktion (Speicheln) zu verknüpfen. Er läutete vor jeder Fütterung eine Glocke und nach der wiederholten Darbietung reichte der Ton der Glocke alleine aus, um den Speichelfluss der Hunde anzuregen. Die physiologische, unbedingte Reaktion (Speicheln) ließ sich jetzt auch mit dem ursprünglich neutralen Reiz (Ton der Glocke) auslösen.
- Die operante Konditionierung ist ein Prinzip, dem das Lernen am Erfolg zugrunde liegt. Die Häufigkeit eines gezeigten Verhaltens wird dabei modifiziert, indem auf ein spontan auftretendes Verhalten entweder eine Belohnung (Verhalten tritt häufiger auf) oder eine Strafe (Verhalten tritt seltener auf) folgt. Sowohl eine Belohnung, auch Verstärker genannt, als auch eine Strafe können positiv und negativ durchgeführt werden, wobei hier nicht der emotionale Aspekt einer Handlung gemeint ist, sondern das Zuführen (positiv) und das Entziehen (negativ) der Handlung [Tab. 1].
Verstärker
Verstärker, die angewendet werden, um ein Verhalten von Tieren häufiger auftreten zu lassen, werden in primäre und sekundäre Verstärker unterteilt. Ein primärer Verstärker hat für ein Tier von Natur aus eine große Bedeutung, z. B. Futter, Wasser, Sozialkontakte und körperliche Unversehrtheit. Sekundäre Verstärker sind Reize, die ursprünglich keine Bedeutung für das Tier hatten und durch eine klassische Konditionierung eine positive Verknüpfung bekommen haben, z. B. das Öffnen einer Futtertüte, das Klappern der Leine oder der Clicker.
Tab. 1 - Positive und negative Verstärkung und Strafe.
| Maßnahme | positiv/negativ | Beispiel | Folge |
|---|---|---|---|
| Verstärker | positiv | Angenehmes wird zugeführt, z. B. Hund erhält ein Leckerchen | Verhalten tritt häufiger auf. |
| negativ | Unangenehmes wird entzogen, z. B. Ableinen des Hundes | Verhalten tritt häufiger auf. | |
| Strafe | positiv | Unangenehmes wird zugeführt, z. B. Ruck an der Leine | Verhalten tritt weniger auf. |
| negativ | Angenehmes wird entzogen, z. B. Wegnahme des Spielzeugs | Verhalten tritt weniger auf. |
Der Clicker
Wichtig bei jeglicher Art von Konditionierung sind das Timing, die Klarheit der Körpersprache und die Konsequenz, mit der man arbeitet. Je präziser man hier vorgeht, umso schneller kann das Tier die gewünschte Assoziation (Verknüpfung) herstellen. Deshalb sollte man die ersten Trainingseinheiten möglichst in ruhiger Umgebung gestalten und nicht mehr als unbedingt nötig mit dem Tier sprechen.
Der Clicker, ein kleines Metallplättchen, von dem ein Geräusch oder Signal in Form eines „Klicks“ ausgeht, stellt in diesem Sinne einen sekundären Verstärker dar. Der Vorteil besteht darin, dass er immer den gleichen Ton erzeugt und so von unterschiedlichen Personen (Tierärzt*innen, Tierpfleger*innen, TFA, Patientenbesitzer*innen) benutzt werden kann, ohne seine Signalwirkung, selbst in emotional belastenden Situationen, zu verlieren. Da er auch auf Distanz funktioniert, hat man außerdem die Möglichkeit, das Tier positiv zu bestärken, wenn man sich nicht direkt neben ihm befindet. Er fungiert also nicht als Kommando, sondern als eine Art Versprechen auf eine Belohnung, das unmittelbar auf das gewünschte Verhalten folgt und somit gut mit dieser verknüpft werden kann [Abb. 1] und [2].


Clicker und Target
Damit der Clicker diese Wirkung erhält, muss man ihn zuerst „laden“. Dies geschieht, indem man den Clicker betätigt und dem Tier sofort ein Leckerchen gibt. Das sollte so oft geschehen, bis es deutlich bei einem „Click“ anfängt, das Leckerchen zu suchen. Hat der Clicker seine Bedeutung erhalten, wird er als positiver, sekundärer Verstärker benutzt, um dem Tier Folgendes zu vermitteln: „Das hast Du gut gemacht, das lohnt sich für Dich, davon will ich in Zukunft mehr sehen“. Unerwünschtes Verhalten sollte, soweit es geht, im Training stets ignoriert werden.
Ein weiteres Hilfsmittel bei der Konditionierungsarbeit ist der Targetstab, eine Art Zeigestock. Er besteht in der Regel aus einem Stock, an dessen Ende ein Ball oder eine Kugel befestigt ist. Je nach Tierart variiert man Größe und Form so, dass das jeweilige Tier das Target gut sehen kann. Der Targetstab dient als Verlängerung des Armes, erlaubt somit zurückhaltenden Tieren am Anfang einen gewissen Abstand zum Menschen einzuhalten und hält aufdringliche Tiere auf Distanz. Mit dem Targetstab erhält man die Möglichkeit, das Tier gezielt in eine bestimmte Richtung oder an einen bestimmten Ort zu leiten, und das mit dem Clicker zu kombinieren.
Trainingsaufbau
Ein gut aufgebautes Training sollte immer durch mehrere Zwischenziele unterteilt werden. Werden diese stabil gezeigt, belohnt man sie nicht mehr, sodass am Ende nur noch die gesamte Lektion positiv belohnt wird. Möchte man z. B. einem Schaf beibringen, dem Targetstab zu folgen, sollte das Tier zunächst lernen, das Target mit der Nase zu berühren. Dies geschieht, indem man den Targetstab in nahe Sichtweite des Schafes hält und zunächst bereits beim ersten Zeichen von Interesse oder Aufmerksamkeit umgehend „clickt“ und entsprechend belohnt, bis eine Berührung erfolgt. Als nächstes wird der Targetstab so gehalten, dass zum Erreichen mindestens 1 – 2 Schritte nötig sind. Auch hier wird jede „richtige“ Bewegung des Tieres wieder durch ein „Click“ und ein Leckerchen verstärkt. Bewegt sich das Schaf schrittweise auf den Targetstab zu, steigert man die Schrittanzahl so lange, bis das Schaf dem Targetstab flüssig folgt.
Zwischenziel-Beispiele
1. Zwischenziele für „Blutentnahme Pferd“: Das Pferd soll ruhig stehen, während es am Halfter fixiert wird und eine 2. Person die Jugularvene staut und Blut abnimmt.
- Das Pferd duldet den Fixierungsgriff am Halfter.
- Die Jugularvene wird gestaut, zeitgleich wird mit dem Finger auf die Vene gedrückt. Das Pferd steht dabei ruhig.
- Die Jugularvene wird gestaut, zeitgleich wird mit einem spitzeren Gegenstand auf die Haut in der Nähe der Vene gedrückt. Das Pferd steht auch dabei ruhig.
2. Zwischenziele für „Anlegen eines Halskragens beim Hund“: Der Hund soll sich entspannt den Halskragen anlegen lassen.
- Dem Hund wird der Halskragen gezeigt, er zeigt Interesse oder Neugier.
- Der Kragen wird lose an den Hundehals gelegt. Der Hund verhält sich dabei ruhig.
- Der Halskragen wird geschlossen und bleibt für einige Sekunden am Hals. Der Hund bleibt artig sitzen oder stehen.
- Schrittweise Verlängerung der Zeit, in der der Hund den Halskragen trägt.
3. Zwischenziele für „Krallenpflege beim Kaninchen“: Das Kaninchen soll sich ruhig, ohne ruckartige Bewegungen die Krallen schneiden lassen.
- Die Geräusche der Zange/Schere stören das Kaninchen nicht.
- Das Kaninchen hält bei Berührung still und duldet die Fixierung.
- Beim Berühren und Halten der Pfote ist das Kaninchen entspannt und zeigt keine Abwehrreaktion.
- Anlegen und ganz vorsichtiges Bewegen (noch kein richtiges Schneiden) der Zange oder Schere an der Kralle wird vom Kaninchen geduldet.
- Schrittweise Intensivierung des Druckes und der Bewegung auf die Kralle. Das Kaninchen bleibt ruhig und gelassen.
Trainingsdauer
Natürlich kann es keine Pauschalangaben zum Lernerfolg des einzelnen Tieres geben. Sollte jedoch nach ca. 6 Trainingseinheiten kein Fortschritt zu erkennen sein, muss man sich über eine Umgestaltung oder Umstrukturierung des Trainings Gedanken machen oder 1 – 2 Schritte zurückgehen und diese intensiver üben. Wichtig ist auch, dass man dem Tier Zeit für die Verarbeitung und das Festigen des Gelernten gibt, weshalb ein 3 – 5maliges Training in der Woche besser ist als ein tägliches. Auch sollte die tägliche Trainingszeit auf ca. 15 – 20 Minuten begrenzt werden, da ansonsten, gerade in der Anfangszeit, eine Überforderung stattfinden kann. Haben die Tiere erst einmal etwas gelernt, kann man die Trainingsintervalle reduzieren, gut konditionierte Tiere zeigen auch noch nach 2 – 3 Monaten das gewünschte Verhalten.
Nutzen
Theoretisch kann man jedes Ereignis und jede Situation im Vorfeld positiv konditionieren. Voraussetzung ist, dass der positive Verstärker einen höheren Stellenwert für das Tier hat als die negative Erfahrung. So lassen sich zum Beispiel selbst leicht schmerzhafte Maßnahmen wie eine Blutentnahme so trainieren, dass die Tiere keine oder nur sehr wenige Abwehrreaktionen zeigen. Besonders geeignet ist die Konditionierungsarbeit für Tiere, bei denen im Vorfeld klar ist, welche Untersuchungen oder Eingriffe vorgenommen werden müssen. Hier sollte Patientenbesitzer*innen empfohlen werden, rechtzeitig mit dem Training zu beginnen, um z. B. die Säuberung der Ohren, das Kühlen der Hufe in Wassereimern oder die Kontrolle der Zähne in einer für das Tier nicht akut stressigen Situation wirkungsvoll zu üben. Aber auch das Stillhalten und Sitzenbleiben bei Routineuntersuchungen, wie z. B. für die Auskultation des Herzens oder die sonografische Untersuchung sind sehr gute Trainingsziele und erleichtern den Praxisbesuch [Abb. 3].

Beschäftigung und Bewegung
Darüber hinaus können Tiere, die krankheitsbedingt zu Boxenruhe oder Leinenpflicht gezwungen sind, in dieser Zeit mit Lernübungen beschäftigt werden. Das kann je nach Tierart und Ausbildungsstand variieren und geht von dem einfachen Folgen des Targetstabs über Tricks bis hin zu komplizierteren Auswahltests. Obwohl die Befriedigung des natürlichen Bewegungsdrangs natürlich nicht komplett kompensiert werden kann, zeigen sich mental geforderte Tiere nicht selten ausgeglichener und entspannter.
Einen weiteren Bereich stellt in der Praxis das Training spezieller Übungen dar, um die Beweglichkeit der Patienten wiederherzustellen oder zu erhalten. Dies umfasst nicht nur postoperative Maßnahmen oder Übungen für den Geriatriepatienten, sondern auch die Prophylaxearbeit oder die Vorbereitung von Sport- oder Turniertieren auf Wettkämpfe. Insbesondere gilt dies für alle physiotherapeutischen Maßnahmen, die manuell oder mithilfe von Geräten durchgeführt werden.
Nicht zuletzt führt diese Art des Umgangs mit dem Tier auch zu einer deutlichen Verbesserung der Beziehung zwischen Mensch und Tier. Der Fantasie und den Möglichkeiten sind dabei kaum Grenzen gesetzt, wobei jedoch stets darauf geachtet werden sollte, dass das Wohl des Tieres im Vordergrund steht und man die Tiere nicht überfordert.
Der Originalbeitrag zum Nachlesen:
Armbrecht Y, Wilkens M. Stressfreies Handling und Medical Training. team.konkret 2016; 12(04): 20 - 23. doi:10.1055/s-0042-115709
(JD)



