
Die Herstellung von pflanzlichen bäuerlichen Hausmitteln wird seit jeher von Tierhalter*innen in Eigenverantwortung praktiziert und sie finden auch heute noch auf vielen landwirtschaftlichen Betrieben Verwendung im Alltag. Um diese Praxis zu dokumentieren, wurde in den Jahren 2018–2021 eine ethnoveterinärmedizinische Studie in Bayern durchgeführt.
In der Studie wurden die Landwirt*innen vor Ort interviewt und die berichteten Rezepturen detailliert dokumentiert und wo möglich auch im Rahmen der Interviews hergestellt. Dabei wurden die eingesetzten Pflanzenteile mittels einer Laborfeinwaage nachgewogen, um letztlich für möglichst viele dieser tradierten Anwendungen eine Tagesdosis je Tier bzw. die Konzentration im Endprodukt errechnen zu können.
Mit Abstand am häufigsten wurden diese traditionellen Hausmittel in den bayerischen Ställen zur Prophylaxe und Verabreichung bei gastrointestinalen Erkrankungen und metabolischen Störungen eingesetzt.
Hausmittel bei Kälberdurchfall
Gastrointestinale und metabolische Störungen waren die am häufigsten genannten Einsatzbereiche (QA). Hierbei war Kälberdurchfall unterschiedlicher Genese der mit Abstand häufigste Grund für den Einsatz von pflanzlichen Hausmitteln (116 Anwendungsberichte).
Über Zubereitungen mit folgenden Pflanzen wurde mehr als 9 Mal berichtet:
- Daucus carota L.
- Linum usitatissimum L.
- Abkochungen von Quercus robur L.
- Aufgüsse von Camellia sinensis (L.) Kuntze
Die Stieleiche (Quercus robur L.) hat aufgrund ihres hohen Gerbstoffgehalts ausgeprägte adstringierende und entzündungshemmende Eigenschaften [1], was zu einer antidiarrhoischen Wirkung führt. Laut der systematischen Übersichtsarbeit über Arzneipflanzen für Ferkel und Kälber von Ayrle et al. [2] hat die Teepflanze (Camellia sinensis (L.) Kuntze), deren Hauptbestandteile polyphenolische Verbindungen, Purinalkaloide (Koffein, Theobromin, Theophyllin) und Flavonoide sind, großes Potenzial zur Behandlung von Durchfall und zur Stimulierung des Immunsystems. Die wässrigen Zubereitungen aus der Karotte (Daucus carota L.) hat sich in der humanmedizinischen Kinderheilkunde bewährt [3]. Zum Gedenken an den Kinderarzt Ernst Moro, einem der Pioniere der Kinderheilkunde in Europa, wird sie heute gemeinhin Moro's Karottensuppe genannt. Das lange gekochte Karottenmark enthält saure Oligosaccharide, welche die Anhaftung verschiedener Darmpathogene an HEp-2-Zellen und Darmepithelzellen in vitro hemmen [4].
Die traditionelle Anwendung von Anis-Fenchel-Kümmeltee wurde von 5 Teilnehmer*innen berichtet. Für einen Teeaufguss werden klassischerweise die Früchte bzw. Samen dieser 3 Arzneipflanzen verwendet:
- Pimpinella anisum L.
- Foeniculum vulgare (L.) Mill.
- Carum carvi L.
Diese Arzneipflanzen sind reich an ätherischen Ölen und appetitanregend, spasmolytisch und wirken antimikrobiell [5]. In einem Fütterungsversuch bei Holstein Milchkälbern zeigte die tägliche Gabe von 3 g Fenchelsamenpulver eine positive Auswirkung auf die Gewichtszunahme und eine verringerte Dauer von Durchfällen [6].
Alle diese von den teilnehmenden Landwirt*innen beschriebenen Anwendungen haben, unabhängig von ihren Inhaltsstoffen, gemeinsam, dass sie für eine zusätzliche Hydratation der Kälber sorgen. Auch wenn reine Tee- und Suppenzubereitungen eine schwere metabolische Azidose sicher nicht ausgleichen können, so werden diese Zubereitungen nach Angaben der Landwirt*innen von den Kälbern meist gerne angenommen und zeigen auch den Appetit stimulierende Effekte.
Auf die Frage nach zusätzlichen Behandlungen am Beispiel Durchfallerkrankungen gaben 36 Landwirt*innen an, dass eine verstärkte Betreuung und Pflege des Kalbes und je nach Witterung der Einsatz von Kälberdecken auf ihren Betrieben praktiziert wird. Weitere 13 Landwirt*innen gaben an, dass in Fällen von Kälberdurchfall manchmal der Tierarzt/die Tierärztin gerufen werden muss, insbesondere wenn sie bemerken, dass die Tiere „schlapp und lustlos“ sind. Dies kann Hinweis für eine gute Überwachung der Kälber durch die Landwirt*innen und eine gute Mensch-Tier-Beziehung sein. Letzteres fördert das Wohlbefinden von Kühen und Kälbern [7] und kann damit auch positive Effekte auf die Heilung haben.
In der historischen regionalen Literatur wurde ebenfalls die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit dem Tierarzt/der Tierärztin erwähnt mittels Formulierungen wie: „Hat man hiermit keinen Erfolg, so wendet man sich an den Tierarzt“ oder „Als Erstmaßnahme bis zum Eintreffen des Tierarztes zeigt es sich empfehlenswert eine Abkochung aus der Wurzel anzubieten.“
Lesen Sie jetzt den vollständigen Beitrag:
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Artikel "Pflanzliche bäuerliche Hausmittel – Tradition mit Praxisrelevanz" aus der Fachzeitschrift Tierärztliche Praxis Großtiere. Der vollständige Beitrag, mit weiteren Ergebnissen der Studie, steht im VetCenter zur Verfügung.
Der vollständige Originalbeitrag zum Nachlesen:
Schlittenlacher T, Knubben-Schweizer G, Maeschli A et al. Pflanzliche bäuerliche Hausmittel – Tradition mit Praxisrelevanz.Tierärztliche Praxis Ausgabe G: Großtiere / Nutztiere 2024; 52(02): 79 - 87. doi:10.1055/a-2280-5937
(IR)
- Reichling J, Frater-Schröder M, Saller R, Fitzi-Rathgen J, Gachnian-Mirtscheva R. Gastrointestinale Erkrankungen I & II. in Heilpflanzenkunde für die Veterinärpraxis. Springer Verlag; 2016
- Ayrle H, Mevissen M, Kaske M. et al. Medicinal plants–prophylactic and therapeutic options for gastrointestinal and respiratory diseases in calves and piglets? A systematic review. BMC Vet. Res. 2016; 12.1: 1-31
- Moro E, Norda S. Karottensuppe bei Ernährungsstörungen der Säuglinge. Muench Med Weschr 1909; 56: 545
- Kastner U, Glasl S, Follrich B. et al. Saure Oligosaccharide als Wirkprinzip von wäßrigen Zubereitungen aus der Karotte in der Prophylaxe und Therapie von gastrointestinalen Infektionen. Wiener Medizinische Wochenschrift 2002; 152.15–16: 379-381
- Brendieck-Worm C, Melzig MF, Stöger E, Vollstedt S. Hrsg Brendieck-Worm C, Melzig MF. Verdauungstrakt. in: Phytotherapie in der Tiermedizin. Georg Thieme Verlag; 2018: 159-166
- Nowroozinia F, Kargar S, Akhlaghi A. et al. Feeding fennel (Foeniculum vulgare) seed as a potential appetite stimulant for Holstein dairy calves: Effects on growth performance and health. J. Dairy Sci 2022; 105.1: 654-664PubMed öffnen
- Waiblinger S, Menke C, Coleman G. The relationship between attitudes, personal characteristics and behaviour of stockpeople and subsequent behaviour and production of dairy cows. Appl. Anim. Behav. Sci. 2002; 79.3: 195-219


