UmweltschutzKlimaneutral arbeiten – geht das in der Tierarztpraxis?

Von Ökostrom bis Recycling – Wie kann man in der Praxis nachhaltiger oder sogar klimaneutral werden? Wir geben hilfreiche Tipps.

Inhalt
Ein Arzt in weißem Kassack hält eine grüne, moosbewachsene Weltkugel in der Hand.
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Der Gesundheitssektor ist für 5 % der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich.

Klimaschutz und Klimaneutralität – Begriffe, die zunächst einmal gut klingen. Doch was bedeutet es, ein klimaneutrales Unternehmen zu führen? Warum lohnt sich Klimaneutralität und welche Möglichkeiten gibt es, eine Tierarztpraxis zumindest klimafreundlicher zu gestalten? Wir haben die wichtigsten Informationen zusammengestellt und geben Antworten auf die zentralen Fragen.

Klimaschutz & Klimaneutralität

Der Begriff klimaneutral galt in den 2000er-Jahren als durchweg positiv: Unternehmen oder Produkte kompensierten ihre Treibhausgasemissionen durch Zahlungen an Klimaschutzprojekte, sodass sie rechnerisch keinen Beitrag zur Erderwärmung leisteten [1]. Inzwischen steht der Begriff jedoch stark in der Kritik. Oft ist unklar, worauf sich die Klimaneutralität genau bezieht (Produkt, Standort, Unternehmen oder einzelne Aktivitäten).

Zudem erweisen sich viele Kompensationsprojekte als unzuverlässig oder überbewertet, und echte Emissionsreduktionen seitens der Unternehmen sind selten. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied daher, dass Werbung mit „Klimaneutralität“ nur zulässig ist, wenn transparent offengelegt wird, wie dieses Ziel erreicht wird [2].

Merke

Treibhausgase sind Gase, die in erhöhten Mengen den Klimawandel vorantreiben. Den mengenmäßig größten Anteil macht CO2 aus, weshalb oft auch von CO2-Emissionen als Platzhalter für alle klimarelevanten Treibhausgase gesprochen wird.

Klimaneutralität im Gesundheitswesen

Auch im Gesundheitswesen wird der Begriff Klimaneutralität immer häufiger verwendet. So haben sich auch die Delegierten des Deutschen Ärztetages 2021 auf ein klimaneutrales Gesundheitssystem bis 2030 verständigt. Da dafür jedoch keine konkreten Maßnahmen und Standards vorgegeben wurden, konnten bisher keine großen Fortschritte verkündet werden.

Auch in der Veterinärmedizin nimmt der Wunsch nach einer klimafreundlicheren Praxisführung durch CO2- und Ressourceneinsparungen zu. So verkündete beispielsweise das Netzwerk VetPartners, dass sie für ihr Unternehmen bis 2045 Klimaneutralität erreichen wollen, um so einen Beitrag zur Bewältigung der globalen Klimakrise zu leisten.

Gründe für Klimaneutralität in der Tierarztpraxis

Natürlich liegen die CO2-Emissionen eines Krankenhauses ein Vielfaches über den Werten einer Tierarztpraxis. Dennoch lohnt sich das Thema Klimaneutralität auch für diese. Man hilft nicht nur der Umwelt und den nachfolgenden Generationen, sondern auch die Praxis kann direkt davon profitieren.

Vertrauensbildung

Die Integration von Klimaneutralität in das Praxiskonzept kann das Vertrauen der Patientenbesitzer*innen stärken. Auch wenn der Patientenbesitzende nicht explizit nach einer klimaneutralen Tierarztpraxis sucht, wird er feststellen: Der Praxisinhabende kümmert sich um die Umwelt und somit auch indirekt um die Gesundheit der Patienten.

Kosteneinsparungen

Darüber hinaus führt Klimaschutz zu kurz- und langfristigen Kosteneinsparungen: Maßnahmen, wie der Einsatz von LED-Beleuchtung, bessere Wärmedämmung oder energieeffiziente Geräte senken den Energieverbrauch deutlich [7]. Obwohl Investitionen anfangs hoch sein können, werden nach Berechungen diverser Studien langfristig mehr Kosten eingespart, da ökologische Schäden teurer wären als die Investitionen in den Klimaschutz [8]. Laut Prof. Dr. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e. V. liegen diese Einsparungen im zweistelligen Bereich: „Jeder Euro, den wir jetzt investieren, spart 15€ Klimaschäden ein“ [9].

Verbesserung der Arbeitsqualität

Darüber hinaus verbessern umweltfreundliche Maßnahmen die Arbeits- und Aufenthaltsqualität: Natürliche Beleuchtung, gute Belüftung und Anreize für klimafreundliche Mobilität fördern Wohlbefinden und Gesundheit von Mitarbeitenden und Patientenbesitzer*innen.

Öffentliche Wahrnehmung

Schließlich stärkt eine klimaneutrale Praxis die öffentliche Wahrnehmung. Sie gilt als positives Vorbild, wird gesellschaftlich anerkannt und kann andere Praxen zum Nachmachen motivieren.

Wie lässt sich Klimaneutralität messen?

Doch wie wird eine Praxis klimaneutral? Und darf sie dann mit Klimaneutralität werben? Dazu zunächst: Der Begriff Klimaneutralität ist rechtlich nicht geschützt, darf aber nicht irreführend verwendet werden und bedarf einer nachvollziehbaren Erklärung. Er beschreibt, dass die Geschäftsaktivitäten eines Unternehmens keine Auswirkungen auf das Klima haben [10], was jedoch schwer nachweisbar ist, da Emissionen und ihre Wirkungen nur modellhaft berechnet werden können [11].

Mehr Transparenz

Für mehr Transparenz sorgt seit 2023 die Norm ISO 14068, die festlegt, was Klimaneutralität bedeutet und wie sie erreicht werden kann. Sie bildet eine rechtssichere Grundlage für entsprechende Kommunikation und entspricht den Anforderungen der Deutschen Umwelthilfe [12]. 

Eine Praxis, die klimaneutral werden will, muss zunächst festlegen, auf welche Bereiche sich die Klimaneutralität bezieht, und eine Treibhausgasbilanz erstellen – also ihren CO₂-Fußabdruck. Standards wie das Greenhouse Gas Protocol oder der DIN EN ISO 14064-1 helfen dabei, alle relevanten Treibhausgasemissionen nach Kategorien zu erfassen. Entscheidend sind dabei nicht nur Emissionen, die direkt im Umfeld der eigenen Praxis entstehen. Auch vor- und nachgelagerte Prozesse werden berücksichtigt, zum Beispiel eingekaufte Waren und Dienstleistungen, Mitarbeitermobilität und Entsorgung [13].

Der Umgang mit Restemissionen 

Da sich nicht alle Emissionen vermeiden lassen, müssen verbleibende Restemissionen kompensiert werden, etwa durch eigene Aufforstungsprojekte oder den Kauf hochwertiger CO₂-Zertifikate. Die ISO 14068 fordert dabei strenge Qualitätskriterien: Projekte müssen real, messbar, dauerhaft und zertifiziert sein. Aus Bilanz, Reduktions- und Kompensationsmaßnahmen ergibt sich ein Reduktionspfad zur Klimaneutralität, dessen Fortschritt dokumentiert und durch eine unabhängige Stelle verifiziert werden muss.

Der Weg zur Klimaneutralität ist also aufwendig und kostenintensiv, kann aber mit Unterstützung von Nachhaltigkeitsberater*innen oder durch kleinere, gezielte Maßnahmen begonnen werden. Welche das sein können, lesen Sie im nächsten Abschnitt.

Eine Klima-Checkliste als Hilfestellung

Eine Checkliste kann dabei helfen, beim Klimaschutz in der Praxis strukturiert vorzugehen. Die Maßnahmen zur Einsparung verschiedener Ressourcen und von CO₂ müssen dabei gar nicht kompliziert sein. Im Folgenden finden Sie einige einfach umsetzbare und wirkungsvolle Ansätze für eine klimafreundlichere Tierarztpraxis.

Energie und Wasser

  • auf Ökostrom umstellen, Gas von einem Anbieter mit CO2-Ausgleich beziehen
  • Wärmedämmung optimieren
  • Zentralen Stromschalter einbauen, der bei Praxisschluss abgedreht wird – Vermeidung von Stromfressern nachts oder in Ferienzeiten; natürlich müssen der Router, der Server und der Kühlschrank davon abgekoppelt sein.
  • In energieeffiziente Geräte investieren, v. a. bei Praxis-Waschmaschine, Geschirrspüler und Kühlschrank
  • wo möglich, LED-Lichtquellen verwenden oder bei mehreren Birnen pro Lampe einige Birnen herausdrehen
  • Bewegungsmelder in den Toiletten verhindern, dass versehentlich das Licht angelassen wird.
  • smarte Heizungssteuerung mit Koppelung an die Praxiszeiten. Diese können je nach Temperatur nachsteuern. Sensoren an den Fenstern sorgen dafür, dass sich die Heizungen beim Lüften ausschalten.
  • auf Klimaanlage verzichten, stattdessen Hitzeschutzfolien, Rollos, dekorative feuchte Tücher an Hitzetagen
  • Praxisstrom gewinnen mittels Photovoltaik-Anlage auf dem Dach oder am Balkon, Solarthermie zur Heißwassergewinnung
  • zur Praxis mit e-Auto, e-Bike, Trampelrad oder Lastenrad fahren, ÖPNV nutzen, zu Fuß gehen, Fahrgemeinschaften bilden
  • Fahrradständer für Patientenbesitzer*innen vor der Praxis
  • Anzahl der Waschbecken mit Heißwasserangebot reduzieren
  • Wasserhähne mit Spareinsätzen ausstatten
  • Toilettenspülungen auf niedrigeren Wasserverbrauch einstellen
  • Wasserverbrauch durch bewussten Umgang reduzieren
  • energiesparendes Stoßlüften statt Dauerlüftung (Heizungs-Lüftungs-Konzept)

Heizungs-Lüftungs-Konzept mit Stoßlüften und Thermostat

Durch die Senkung der Innenraumtemperatur der Praxis um ein 1°C sind bereits etwa 6 % Energieeinsparung möglich [15]. Programmierbare Thermostate können die Temperatur in Abwesenheit um 4°C senken und so sogar bis zu 10 % einsparen. Die Wärmeenergie sollte zudem möglichst in der Praxis bleiben. Dreimal Stoßlüften am Tag, am besten quer durch alle Räume, ist besser, als die Fenster bei niedrigen Außentemperaturen lange Zeit in der Kippstellung zu belassen.

Einrichtung, Verbrauchsmaterialien, Entsorgung & Co.

In vielen Praxen fällt tagtäglich jede Menge Abfall an: Einmalhandschuhe, Tupfer, Kanülen und ihre Verpackungen. Trotz aller Ökologie: Hygiene in der Praxis geht vor Umweltschutz! Bei Desinfektionsmitteln gibt es keine ökologischen Angebote. Und selbstverständlich wird bei semikritischen (Gruppe B) und kritischen Medizinprodukten – z. B. Spritzen oder Kanülen – immer Einwegmaterial verwendet.  Hier würde auch die hygienische Aufbereitung sowieso viel Energieaufwand bedeuten.

Es bleiben jedoch noch viele Möglichkeiten, in der Praxis etwas für die Umwelt zu tun:

  • strenge Mülltrennung, insbesondere von Papier und Verpackungen
  • Einwegverpackungen vermeiden
  • Öko-Versandhandel für umweltfreundliche Verbrauchsartikel nutzen: nachhaltige Produkte, umweltfreundliche Verpackungen, wiederverwendbare Versandboxen
  • Bio-Kaffee und -Tee aus fairem Anbau und Handel, Wassersprudler statt Wasser in Glas-/Plastikflaschen
  • Bankverkehr über eine nachhaltig arbeitende Bank abwickeln
  • Kleingeräte (z. B. Otoskop) mit USB-Akku helfen, Einwegbatterien zu sparen.
  • Wischreinigungsmittel, Handwaschseifen, andere Putzmittel mit biologisch abbaubaren Neutralseifen
  • Praxiseinrichtung unter Umweltschutzaspekten gebraucht kaufen, reparieren, recyceln

Papier

  • eine (nahezu) papierfreie Praxis anstreben durch bewussteren Umgang mit Papier; möglichst auf Ausdrucke verzichten
  • papierarme Praxisverwaltung, z. B. Behandlungsverträge, Anamnesebögen auf Tablet oder Rechner; Digitalaffine Patientenbesitzer*innen können diese in der Praxis ausfüllen und bekommen die Formulare per E-Mail zu geschickt, ebenso Rechnungen und Befundbriefe.
  • digitale Patientenakte und Verwaltung von Patientendaten – selbstverständlich alles datenschutzkonform
  • Papierwerbung von Pharmafirmen abbestellen
  • Fachbücher digitalisiert nutzen
  • Einmalhandtücher und WC-Papier aus Recyclingpapier benutzen
  1. DWDS-Wortverlaufskurve für „klimaneutral“, erstellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache. www.dwds.de/r/plot/?view=1&corpus=zeitungenxl&norm=date%2Bclass&smooth=spline&genres=0&grand=1&slice=1&prune=0&window=0&wbase=0&logavg=0&logscale=0&xrange=1946%3A2024&q1=klimaneutral; abgerufen am 20.8.2024
  2. Der Bundesgerichtshof Pressemitteilung Nr. 138/2024: Bundesgerichtshof entscheidet zur Zulässigkeit von Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“.
  3. Reketat A.. Green Hushing: Das neue Greenwashing?. utopia.de/ratgeber/green-hushing-das-neue-greenwashing_499264/; abgerufen am 14.4.2023
  4. Garrelts N.. Klimaneutral 2030: So schaffen wir das. Berliner Ärzt: innen 2022; 01: 10-17
  5. Bundesministerium für Gesundheit Ökologische Nachhaltigkeit im ambulanten Gesundheitswesen (ÖNaG) Berlin. 8.5.2023.
  6. Bossmann B.. PwC Healthcare-Barometer 2022 zum Schwerpunkt Klimawandel. www.pwc.de/de/content/93bc6bb4-f20a-4f00-9361-b9cfaa51114f/pwc-healthcare-barometer-2022-teil-2.pdf; abgerufen am 01.10.2024
  7. IHK Rhein-Neckar. Betriebskosten senken durch effiziente Beleuchtung. www.ihk.de/rhein-neckar/innovation/umweltberatung/kompetenzstelle-ressourceneffizienz-rhein-neckar-keff-plus/foerderung-led-4062582; abgerufen am 7.7.2024
  8. Köhler D.. Was kostet die Welt?. Linkedln; 11.8.2023
  9. Kemfert C. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e. V. Pressemitteilung zum Abschluss des 11. ExtremWetterKongresses. 24.9.2021
  10. „klimaneutral“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache. www.dwds.de/wb/klimaneutral; abgerufen am 20.8.2024
  11. Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft des Landes Rheinland-Pfalz. Stickstoff im Wald – Unverzichtbarer Nährstoff und waldgefährdender Schadstoff. Mainz: 2016
  12. International Organisation for Standardization. ISO 14068-1:2023(E). Climate change management — Transition to net zero — Part 1: Carbon neutrality. DIN Media; 11/2023
  13. Götz M. et al. Einführung Klimamanagement: Schritt für Schritt zu einem effektiven Klimamanagement in Unternehmen. Deutsches Global Compact Netzwerk Januar. 2017: 28

Quellen (nach Angaben von):

VetPartners verkündet ehrgeizige neue Klimaziele – klimaneutral bis 2045 - VetStage
Dierbach, E. Checkliste Klimaschutz in der Praxis. Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2024; 19(07): 46-47, DOI: 10.1055/a-2440-0219
Köhler, D. Klimaneutrale Praxis: Märchen oder Zukunftsmodell? Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2024; 19(07): 40-45, DOI: 10.1055/a-2413-1775

(JD)